Frei soll sie sein! Es ist so schön anzusehen, wenn ein Sänger im Konzert ganz in seinem Ausdruck steht. Wenn sein sängerischer Ausdruck sich widerspiegelt in seinem Gesicht und seinen Gesten – unkompliziert und natürlich – und dazu gehört auch die Atmung.
So sieht man einem Sänger, der sich in seiner Mitte fühlt, nicht an, dass er atmet – es fällt kaum auf. Zumindest zu Beginn einer jeden Phrase ist die sichtbare Bauchmuskulatur entspannt und weich und lässt das Atmen bis in die Tiefe zu. Der Sänger kann nur ganz in seinen Ausdruck kommen, wenn er sein Zwerchfell frei arbeiten lässt. So, als wenn er eine schöne Geschichte erzählen möchte. Die Luft reicht bestimmt, denn je weniger sich der Sänger beim Atmen anstrengt, desto mehr Luft strömt in seinen Körper.
Doch gilt hier zu beachten, dass ein Sänger sein Energiepotential ausschöpfen muss, sonst reicht seine Luft eben doch nicht. Hier gilt es zu sehen, dass es einen feinen Unterschied gibt zwischen Anstrengung und lustvoller Kraft. Es ist schon eine Entwicklung, bis ein Sänger seine Mitte findet – seine körperliche Mitte: die Balance zwischen vorn, hinten, oben und unten – seine seelische Mitte: ganz in der Empfindung, aber nicht „gefühlig“ – die geistige Mitte: im Vertrauen zu sich und dem Kosmos.
So steht über allem, für mein Empfinden, das Vertrauen in eine geistige Kraft. Sie bewirkt die Liebe und Freude des Sängers beim Musizieren. Dann greift alles ineinander. Wir sind ganz vollständig und dabei auch vollkommen einmalig. Alles ist dann miteinander verbunden und doch differenziert. Denn in meiner Mitte bin ich nicht nur mit mir selbst, sondern mit allen und allem verbunden – gerade durch meinen Atem.