Auch von meiner wunderbaren Feldenkrais-Lehrerin Barbara Martin habe ich gelernt, dass wir im täglichen Leben oft viel zu viele Muskeln benutzen, die wir gar nicht benötigen – und natürlich manchmal zu wenige oder die falschen. Durch tägliches Üben erinnert sich unser Körper wieder an die natürlichen Bewegungsabläufe.
Was bedeutet das nun konkret im Gesangsunterricht? Es bedeutet, dass wir dort loslassen, wo wir meinen festhalten zu müssen, z. B. im Nacken-/Schulterbereich oder im Kiefer. Wir müssen unser Bedürfnis loslassen, die Abläufe kontrollieren zu wollen. Gleichzeitig dürfen wir unseren Körper wieder mitmachen lassen bei allem, was wir ausdrücken wollen. Ein Zuhörer, der gleichzeitig auch Zuschauer ist, will sehend glauben und miterleben können, was der Sänger ausdrücken möchte. Wenn allein unser Intellekt die Aufsicht übernimmt, so ist dies auch körperlich sichtbar. Deshalb sage ich oft spaßeshalber: der Kopf gehört zum Körper – er ist nicht der Dirigent!
Es bedeutet sich freizumachen von Vorstellungen, wie etwas zu klingen hat, ob wir gut singen oder wie wir den Text in der Musik inszenieren wollen. Es gibt eine höhere Intelligenz und sie ist in unserm Körper wirksam. Im Endeffekt ist es diese Kraft, der wir uns anvertrauen können. Ja, wir nehmen uns sogar zurück in der intensiven Konzentration auf die Musik. Es geht nicht mehr darum, ob ich etwas gut singe, sondern ich konzentriere mich ganz und gar auf das Musikstück.
Das Singen in diesem Sinne wird zum Prozess des seelischen Wachstums – unseres Gottvertrauen, unsererer seelische Freiheit und Liebesfähigkeit. Im Feldenkrais- sowie im Gesangsunterricht erinnern wir uns wieder daran, dass wir unsere Bewegungen, unser Singen in eine Einfachheit führen können, von der wir oft nur ahnen, dass es sie gibt.