Sich Herausforderungen stellen

Das, was mich stark macht, was mich in meine Mitte bringt, ist nicht immer das, was mir zu Beginn besonders leicht von der Hand geht. Oft fühlt es sich sogar ein wenig unangenehm an, dass das, was ich tun möchte, mir erst einmal schwer fällt – z. B. Singen. Wann werde ich also „am Ball“ bleiben, welche Motive treiben mich, wenn ich nun zum Singen gehe und diese neue Fähigkeit erlernen möchte? Ist es ein neues „Wellness-Programm“, von dem ich meine, das es mir gut tue? Oder wollte ich schon immer singen, liebe Musik, erfreue mich auch am Gesang, gehe gerne in Konzerte und bin letztlich bereit, mich auf eine Reise einzulassen, die mich in eine neue Welt führt – sogar in die Welt der klassischen Musik?

Wie geht es mir nun als Lehrer mit meinem Schüler?

Im ersten Fall wird es mir viel schwerer fallen, ihn über all die kleinen oder größeren Anfangsschwierigkeiten hinwegzuhelfen. Ich werde sehr viel „Überzeugungsarbeit“ leisten. Oft gelingt es mir, meinen Schüler in der Stunde zu begeistern. Er fühlt sich mit mir wohl und auch von meiner Energie getragen. Zu Hause aber wird es ihm oftmals schwerfallen, sich an all das Schöne zu erinnern, was er in der Stunde  erarbeitet hat, was er errungen hat und was ihm ein wahrhaftiges Strahlen in seine Seele gezaubert hat.  Er fühlt sich allein auf sich gestellt, nicht in seiner Kraft zu üben, weil sein Motiv nicht ausreicht.

Im zweiten Fall, wird ihn die Musik befeuern. Er wird leidenschaftlich gern das erüben, was er in der Unterrichtsstunde aufgenommen hat. Seine Stimme wächst von Mal zu Mal, sogar in Urlaubszeiten, wenn er gar nicht singt.

Einige meiner Schüler haben spät im Leben begonnen, Gesangsunterricht zu nehmen. Sie kannten sich in der Welt des klassischen Gesangs gar nicht aus! Als sie sich darauf einließen, staunten sie, was für einen Schatz die klassische Musik in sich birgt. Und sie liebten diese Musik – all diese Lieder von Schumann, Schubert, Brahms… oder die wundervollen Arien von Bach und Händel…. oder die kraftvollen Arien aus einer Oper. Für die menschliche Stimme gibt es meines Erachtens keine andere Musik, die sie so schulen kann. Nirgendwo kann ich so wundervoll meine Sängermitte üben, so in die Tiefe meiner menschlichen Seele eintauchen, so sehr eins mit mir werden.

Es lohnt sich wahrhaftig, sich dieser Herausforderung von ganzem Herzen zu stellen!

Es grüßt Euch Eure

Vivian Middelmann